Über e-Books

Zum Erscheinen des Taschenbuchs von Vom Ende der Einsamkeit am 26. September wird es diesen und alle bisherigen Romane der Backlist rückwirkend als e-Book geben – nicht aber das aktuelle Hardcover Die Wahrheit über das Lügen, das exklusiv nur gedruckt erhältlich ist. Im zweiten Teil des Interviews mit dem Diogenes-Blog (erster Teil hier) habe ich die Gründe erklärt:

 

Benedict Wells, auch „Die Wahrheit über das Lügen“ wird, wie all Ihre Titel zuvor, nur als Hardcoverausgabe bzw. als Hörbuch, nicht aber als E-Book, erhältlich sein. Was sind hierfür Ihre Beweggründe?

Benedict Wells: „Es ist ein Statement für den stationären, unabhängigen Buchhandel. Man kauft ein E-Book einfach so gut wie nie dort, sondern bequem im Netz. Aber das hat eben auch Auswirkungen. Ich habe auf Lesereise so viele enthusiastische und kompetent geführte Buchhandlungen kennengelernt, und doch mussten immer wieder einige von ihnen schließen. Die Vielfalt, die wir momentan noch haben, ist bedroht, überspitzt gesagt gibt es vielleicht irgendwann nur noch riesige, konzerngesteuerte Ketten und Online-Algorithmen. Es bringt aber nichts, darüber zu jammern und dann trotzdem seine Bücher im Netz zu kaufen. Damit unterstützt man nur Konzerne wie Amazon, und die brauchen nun wirklich nicht mehr Geld.“

Bisher kamen Ihre Bücher deshalb gar nicht als E-Book, doch nun gibt es eine kleine Neuerung: Ab dem Erscheinen der Taschenbuchausgabe „Vom Ende der Einsamkeit“ am 26.9.2018 sind nun rückwirkend alle Ihre Taschen- und Hörbücher auch elektronisch erhältlich. Wieso haben Sie hier Ihre Haltung gelockert?

Benedict Wells: „Dazu muss ich ausholen. Als ich 2007 zum Verlag kam, bestand ich auf dieser Anti-E-Book-Klausel. Die Plattenläden aus meiner Teenagerzeit waren damals fast alle verschwunden, falls den Buchhandlungen irgendwann das gleiche Schicksal bevorstand, wollte ich wenigstens nicht selbst „mitmachen“. So die grobe Grundidee meines jüngeren Ichs. Mal ganz davon abgesehen, dass ein gedrucktes Buch oft etwas Persönliches und Einzigartiges ist, mit einer im besten Fall eigenen Geschichte und dazu unzensierbar. Ein E-Book dagegen ist immer nur eine Datei.

Als ich damals also entschied, dass es nur gedruckte Bücher geben soll, war ich 23 und dachte, ich reihe mich damit in eine große Schar störrischer und zumeist älterer Autor*innen ein, vielleicht irgendwo hinten in der Ecke. Dann stellte ich fest, dass ich quasi allein war. Ich war umso entschlossener, diese Haltung komplett durchzuziehen. Auch dann noch, als vor zwei Jahren Vom Ende der Einsamkeit unerwartet gut lief und der Verlag mir sagte, ich würde auf einen Haufen Geld verzichten, wenn ich nicht parallel zum Hardcover zusätzlich auch die E-Book-Version anbieten würde. Doch das war es mir wert, und deshalb blieb es bei der gedruckten Variante.

Andererseits kamen später auf den Lesereisen immer wieder Leute zu mir und sagten, dass ihre Eltern oder Großeltern das Buch nicht lesen könnten, da sie eine Augenkrankheit hätten und die Schrift zu klein sei oder dass sie es gern mit in den Urlaub nehmen würden, es aber in der gedruckten Form zu schwer wäre. Auch auf meiner Facebook-Seite schrieben mir viele aus diesem oder anderen Gründen, die mich ins Nachdenken brachten. Und anders als befürchtet, haben die E-Books in all den Jahren nicht den Markt erobert, sondern stagnieren friedlich bei rund 8% – wobei einige Menschen jedoch nur elektronisch lesen.

Und so stand ich vor der Frage, wie ich niemanden mehr ausschließen und trotzdem auch in Zukunft das Statement für den Buchhandel setzen kann. Deshalb nun dieser Kompromiss: Das jeweils aktuelle Hardcover, an dem alle am meisten verdienen und das am wichtigsten ist, gibt es weiterhin nur gedruckt. Doch wenn dann ein, zwei Jahre später das Taschenbuch kommt, erscheint nun nebenher immer auch das E-Book, so dass niemand mehr ausgeschlossen ist.“

Nachtrag: Zum Start von „Hard Land“ 2021 kam das Thema noch mal auf. Folgendes schrieb mir jemand dazu auf Facebook:

… Ich finde es bedauerlich, dass es (zumindest vorläufig) keine Veröffentlichung als E-Book geben wird. Die verschiedenen Möglichkeiten, die E-Reader heute bieten, die Darstellung eines digitalen Buches zu beeinflussen (Schriftgröße/-art/-stärke, Zeilenabstände, Ränder, Beleuchtung, invertierte Darstellung etc.) können für Menschen mit einer Sehbehinderung extrem hilfreich oder gar essenziell sein. Auch für Menschen mit motorischen Einschränkungen kann die Nutzung eines E-Readers sehr hilfreich sein, verglichen zur gedruckten Ausgabe. Insofern bieten E-Books ihren Beitrag zu dem, was heute gemeinhin unter dem Begriff BARRIEREFREIHEIT zusammengefasst wird. Die Entscheidung gegen E-Book ist mir unverständlich, und ich empfinde die Argumentation eher als belehrend.

Meine Antwort:

Lieber …, Sie glauben nicht, wie wichtig mir Ihr Kommentar ist. Ich habe ewig über diese Entscheidung gegrübelt, und ich kann sowohl Ihre Kritik als auch Ihre Enttäuschung nicht nur nachvollziehen, sondern stimme allem auch zu. Sie haben Recht, und das muss ich aushalten. Es ist nur eben eine Catch 22 Situation. Unterstütze ich mit diesem Zeichen die Buchhandlungen, mit dem Preis, dass manche Leser:innen noch eine gewisse Zeit auf das Lesen warten müssen (das e-Book kommt ja, nur nicht jetzt sofort)? Oder verrate ich schweren Herzens meine Ideale und ermögliche das Buch sofort allen? Es gibt leider keinen Mittelweg. Was ich Ihnen anbieten kann, ist meine Sicht. Als ich ein Teenager oder Anfang zwanzig war, starben alle meine geliebten Plattenläden. Wirklich alle, fertig aus. Ich habe mir geschworen, dass ich zumindest – falls mir möglich – dafür kämpfen werde, dass es den Buchhandlungen nicht auch so geht. Also gab es zehn Jahre lang sogar gar keine e-Books. Ich wollte nie belehren, das möchte ich auch jetzt nicht. Aber ich wollte tatsächlich durch eine eher unpopuläre, sperrige Entscheidung das Bewusstsein dafür wecken, dass man um die Buchhändlungen kämpfen muss – und dass e-Books nun mal meistens bei Amazon und Co. online gekauft werden. Deshalb die Frage: wo hätten Sie das e-Book denn gekauft, wirklich in einer Buchhandlung? Die Mehrheit kauft es jedenfalls bei Amazon und im online Handel. Wäre das anders, würde ich sofort e-Books zum Start freigeben, auch wenn ich persönlich tatsächlich auch sehr am haptischen, gedruckten Buch hänge. Aber ich verstehe Ihre Einwände wahnsinnig gut, und ich leide sehr bei dem Gedanken, kurzfristig jemanden auszuschließen. Wegen Kommentaren wie Ihrem gibt es die e-Books nun auch immer zum Taschenbuch, und vielleicht mache ich es mit Absprache mit dem Verlag nun diesmal früher. Aber es gibt ja auch das Hörbuch als Alternative immer schon zum Start (wegen einer Neu-Aufnahme hat es sich nun bis April verzögert, das war so nicht geplant). Ich möchte jedenfalls dieses Zeichen für den stationären Buchhandel setzen, und das wirkt mit einer Tat nun mal tausendmal stärker als mit netten Worten. Denn ich erreiche ja nicht alle Leser mit solchen Posts, sondern nur einen kleinen Teil. Die Idee war eher: jemand stutzt, dass es keine e-books gibt, schaut dann nach, findet meine Erklärung und denkt sich (zurecht): „Der Autor ist ja ein Idiot“ – wird aber tatsächlich auch darauf gestoßen, dass Buchhandlungen gerade ums Überleben kämpfen. Vor allem auch jetzt in Pandemie-Zeiten. Deshalb wollte ich im Moment nicht davon abrücken. Ich hoffe, man kann diese Entscheidung – genauso wie ihren Einwand – zumindest ein bisschen verstehen, das spiegelt sich zu meiner Erleichterung zumindest in manchen anderen Kommentaren wider. Leicht fällt mir das alles aber nicht, und ich verzichte ja auch auf einen Haufen Geld bei zurzeit 12 Prozent e-Book-Umsätzen pro Buch und einer ungleich höheren Beiteiligung an ebendiesen im Vergleich zum HC. Ich versuche „das Richtige“ zu machen, und ich bin in einer Situation, in der es das leider nicht gibt. Aber in der Pandemie und bei den Krisen im Einzelhandel schwenkte das Pendel nun noch mal so aus. Bitte seien Sie aber versichert, dass ich mir Ihre Einwände sehr zu Herzen nehmen und mir mit dem Verlag überlegen werde, wie wir das in Zukunft machen, um so nah wie möglich an einen eigentlich unmöglichen Kompromiss zu kommen.