Da es auf Tour immer wieder Fragen aus dem Publikum gab, kommen hier ein paar Fun Facts zum Thema Lesereisen. Von Hintergründen, Live-Mitschnitten und Musik-Playlists bis hin zu Anekdoten aus 17 Jahren Tourleben – inklusive Lesungen mit finster schweigendem Publikum, dramatischem Liebeskummer oder einer alkoholisierten Schießübung.
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Tour of Tears
2024 fand die Lesereise zu Die Geschichten in uns statt – natürlich wieder mit dabei: der großartige Singer/Songwriter Jacob Brass. Wer das Buch gelesen hat weiß, dass es ein sehr persönlicher Text ist. Und so verwundert es vielleicht nicht, dass auch die Tour die bisher emotionalste wurde. Das liegt einerseits an den Stellen über das Aufwachsen, aber auch an den Songs, die Jacob spielte. Heute hier, morgen dort von Hannes Wader etwa hatte ich schon als Kind im Grundschulheim geliebt, und auch heute als vierzigjähriger Erwachsener erkenne ich mich im Text wieder, ebenso in der Melancholie.
Kaputt von Wir sind Helden wiederum handelt vom Umgang mit psychisch kranken und versehrten Eltern. Wer sich damit auch nur ansatzweise auskennt, dürfte sich von den Lyrics auf tiefste Weise in den Arm genommen fühlen. Mich hat das Lied oft getröstet, wenn ich einen geliebten Menschen mal wieder in der Psychiatrie besuchte.
In meinem Buch geht es auch um das Chaos, in dem ich aufwuchs – und das meinem Schreiben zugrunde liegt. Wieso ich diesmal explizit darüber sprach, habe ich versucht auf der Tour zu erklären (man kann es aber auch in diesem Interview nachlesen). Sehr berührt haben mich deshalb die Gespräche mit Menschen nach den Lesungen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, und die mich ermutigten oder für die Offenheit dankten. Das hat mich sehr bestärkt.
Im Münchner Publikum saß mein rund 80jähriger Lehrer aus dem Grundschulheim, als ich die einzigen guten Noten meiner Schulzeit schrieb. Mein Leben hätte damals auch anders abbiegen können, als ADHS-Kind aus schwierigen Verhältnissen im Heim, das immer wieder jähzornig und ziemlich lost war. Aber er gab mir Selbstvertrauen, förderte mich und stellte so die Weichen, dass ich aufs Gymnasium wechseln konnte. Als ich ihm auf der Lesung dankte, dreißig Jahre später, kamen mir aus dem Nichts die Tränen und ich musste erstmals auf der Bühne weinen. Mein Lehrer rief aus dem Publikum zurück, er auch. Diesen Moment werde ich nie vergessen.
Ähnliches geschah in Berlin, als ich meiner Schwester dankte, die so ein unfassbar wichtiger Mensch in meinem Leben ist und mich schon oft inspirierte. Zu unserer großen Freude stellten Jacob und ich fest, dass Judith Holofernes ebenfalls im Publikum saß: Auch sie eine Heldin für uns. Hier war es nun wiederum Jacob, der Angst hatte, dass er beim Spielen ihres Songs Kaputt weinen würde – wie es ihm bereits in Marburg geschehen war. Doch er stand es durch, und dass wir diesen Moment mit Judith teilen und ihr endlich danken durften, bedeutet uns beiden wahnsinnig viel.
Bei der letzten Lesung in Zürich kam als Highlight Valeska Steiner auf die Bühne, eine gute Freundin und Sängerin der Band BOY – zusammen mit Jacob performte sie den Song Bette Davis Eyes. Einen schöneren Abschluss hätte es nicht geben können.
Danke an alle, die zu unseren Auftritten kamen! Und hier noch ein paar Links für alle, die nicht dabei sein konnten:
Ein Audio-Mitschnitt zum Nachhören von unserer Lesung in ZÜRICH
Ein Video-Mitschnitt von unserer Lesung in BERLIN
Lesebericht des Merkurs zur Lesung in MÜNCHEN
Lesebericht der FAZ zur Lesung in FRANKFURT
… und die Musik?
Immer wieder kam die Frage auf, ob es eine Playlist mit den Songs gebe, die Jacob in all den Jahren auf Lesungen gespielt habe. Ich habe dieses Versäumnis endlich nachgeholt, man findet sie hier (auf YouTube gibt es deutlich mehr Lieder und Coverversionen).
Und weil es so schön war, habe ich gleich noch ein Video zu Jacobs Cover von Heute hier, morgen dort gemacht, mit Fotos von uns beiden unterwegs.
Die frühen Lesereisen
Meine erste Tour gab es 2008 zum Erscheinen von Becks letzter Sommer: Rund fünfzig Veranstaltungen, die mich quer durchs Land führten. Ich war so verpeilt, dass ich auf den Zugfahrten oft keine Reservierung hatte; dann hockte ich mit meinen Le Crobag-Sandwichs auf dem Boden zwischen zwei Abteilen, während ich mich mit den Bahntypischen Verspätungen meinen Zielen in Oldenburg oder Nürnberg näherte. Viele der auf mich wartenden Hotelzimmer waren so winzig wie Schuhkartons und hatten kein Internet, aber es machte mir nichts aus, ich lebte wirklich meinen Traum.
Damals erschien es mir einfach unglaublich, dass Menschen freiwillig auf Lesungen gingen, noch dazu von irgendeinem unbekannten Autor mit seinem Debüt. Und fast unbegreiflich war für mich, dass diese Menschen auch noch Geld für Eintrittskarten ausgaben. Deshalb konnte ich es sehr gut nachvollziehen, dass es immer wieder Veranstaltungen gab, zu denen kaum jemand kam.
Bei einer Lesung auf der Schwäbischen Alb drohte mir schließlich das befürchtete Schicksal: Zwei Minuten vor Beginn war gar niemand da. Die Veranstalterin und ich warfen uns bereits traurige Blicke zu – da kam aus dem Nichts doch noch eine achtköpfige Gruppe Rentnerinnen und Rentner hineingeschneit. In geschlossener Formation setzten sie sich auf die Stühle ganz vorne und schauten mich an – reagierten aber in den folgenden neunzig Minuten auf nichts, was ich tat. Kein Räuspern, kein Lachen, kein Schnauben, nichts („Hat jemand noch eine Frage? Nein? … Äh, also, ich lese dann einfach mal weiter, ok? … Ok, ja.“). Vermutlich hätten sie auch nicht reagiert, wenn ich ganz langsam einen Strick aus der Tasche geholt und mich damit aus Verzweiflung – aber bis zum Schluss noch stoisch weiterlesend – aufgehängt hätte.
Nach genau neunzig Minuten zog diese Schar kommentarlos und, wie mir schien, enttäuscht wieder ab. Ich tröstete mich damit, dass wenigstens überhaupt noch jemand gekommen war. Ein paar Tage später wurde meine Lesung in Stuttgart dann mangels Nachfrage komplett abgesagt.
Wie Jacob und ich uns kennenlernten
Im Jahr 2010 gab es eine neue Auflage der Reihe Feels Like Home, organisiert von Dannie Quilitsch und Johannes Strate. Es ging um die Verbindung von Musik und Literatur, die Erlöse waren für den guten Zweck. Damals dabei waren aus den USA die Singer/Songwriter Ben Rector, Ari Hest und VanRiss – und aus Deutschland der Münchner Musiker Jacob Brass. Ich wiederum sollte für die literarische Komponente zuständig sein.
Tagelang gingen wir in Norddeutschland auf Tour, hingen zusammen mit Dannie und Johannes im Hotel bis spät in die Nacht herum, machten Quatsch, fuhren im Bus von Ort zu Ort, hatten unterwegs lange Gespräche über das Leben und die Kunst (und eine Menge albernes Zeug). Abends spielten die anderen abwechselnd ihre Sets, dazwischen las ich aus meinen damaligen Büchern Becks letzter Sommer und Spinner.
Zum ersten Mal erlebte ich, wie es ist, nicht allein zu reisen – sondern als Gruppe. Wie schön es sein muss, in einer Band zu sein. Und wie sehr sich Musik und Literatur gegenseitig auf der Bühne beflügeln können. Fortan wollte ich das unbedingt selbst auf die Beine stellen. Da ich mich mit Jacob angefreundet hatte, schlug ich 2011 bei der Lesereise zu Fast genial vor, ihn bei größeren Veranstaltungen mit einzuladen. Doch die Antwort war stets: Nein. Die zweite Gage wäre zu teuer.
Durch den unerwarteten Erfolg von Vom Ende der Einsamkeit gab es 2016 jedoch endlich die Chance, dieses Experiment durchzuführen. Der Pilot war in Berlin, es folgten weitere gemeinsame Aufrtitte in Ravensburg, Freiburg und München, und tatsächlich entstand sofort eine eigentümliche Chemie. Schnell war deshalb klar, dass wir das bei der Tour zu Die Wahrheit über das Lügen 2018 wiederholen würden. Unvergesslich wurde dabei unser Heimspiel in München in der ausverkauften Muffathalle.
Doch noch immer trauten wir uns nicht, diese Abende ohne Moderation zu machen, wie Kinder, die beim Fahrradfahren nicht auf die Stützräder verzichten wollen. Das änderte sich erst 2020 bei Regensburg liest ein Buch. Diesmal gab es nur noch Jacob und mich auf der Bühne – und auf fast magische Weise änderte das noch mal alles. Die Tür des Wohnzimmers war plötzlich geschlossen, es war sofort heimeliger, vertrauter, intimer. Fortan behielten wir das bei. Auch bei …
Die große Hard Land-Clubtour
Zum Erscheinen von Hard Land gab es eine zweigeteilte Clubtour, bei der ich den Roman präsentierte und Jacob sein Album Circletown vorstellte. Ein langgehegter Traum von uns. Wir hatten erstmals eine eigene Bühnendekoration und reisten im Bus von Hamburg aus über Städte wie Stuttgart, Leipzig, München und Wien nach Zürich. Alles glänzend organisiert von Diogenes, NEULAND und unserem Tourmanager Sascha Gerbig. Dass die erste Lesereise in Pandemiezeiten überhaupt stattfinden konnten, grenzte dabei an ein Wunder. Die geplante Sequeltour dagegen mussten wir verschieben.
Heraus kamen am Ende viele großartige Abende – und zwei beseelte Rückblicke:
Die komplette Hard Land-Lesung in Zürich gibt es inzwischen ebenfalls zum Nachhören. Man findet sie – zusammen mit anderen Aufzeichnungen – in dieser Playlist.
Ich kann kaum sagen, was es mir bedeutet, Jacob gefunden zu haben. Mit einem so guten Freund musizierend und lesend herumreisen zu dürfen, gehört zum Schönsten in meinem Autorendasein. Wenn man allein auf der Bühne ist, kann man das alles mit niemandem teilen, das Glück entwischt einem oft bereits, während man noch durch die Seiten blättert. Danach geht man allein zum Hotel zurück und schaut vielleicht fern, kann nicht einschlafen. Zu zweit ist das komplett anders. Man darf die Bühne teilen, quatscht hinterher bei einem Drink in der Hotellobby noch über die tollsten Momente, freut sich gemeinsam auf die nächsten Abende.
Da Jacob inzwischen Familie und Kinder hat, mache ich oft Scherze, dass ich manchmal Lesungen nur zusage, damit wir mal wieder gemeinsam herumhängen und auf langen Fahrten miteinander quatschen können. Aber eigentlich ist es kein Scherz.
Sonstige Anekdoten
Die dramatischste Lesung meines Lebens war 2009 in Potsdam. Am Morgen war ich noch in Amsterdam gewesen, als sich meine amerikanische Freundin überraschend von mir getrennt hatte. Sie war damals die Liebe meines Lebens gewesen, und ich heulte auf dem Weg zum Bahnhof so sehr, dass der Busfahrer nicht mal mein Ticket sehen wollte und ein Junge auf Niederländisch seine Mutter fragte: „Mama, warum weint der Mann so?“ Ich war sicher, dass ich am Abend nicht würde lesen können, aber das Verrückte ist: Kaum ist man auf einer Bühne, gleitet man in eine Parallelwelt, und irgendwie funktionierte es. Danach ging ich zum Friseur, alles sollte ab. Ich wollte nach der Trennung unbedingt cool aussehen, aber der Schuss ging leider nach hinten los …
Es war seltsam, als junger Mensch von vierundzwanzig Jahren auf Lesereise zu sein. Immer wieder wochenlang allein in Hotelzimmern an Orten zu landen, die man nicht kannte und an denen man sich fremd fühlte. Als ich in einer katholischen Einrichtung las, fragten mich ein paar junge Leute aus dem Publukum, ob ich mit ihnen danach noch auf eine Studentenparty mitkommen wolle. Zum Entsetzen der schon etwas älteren Veranstalter sagte ich das geplante Abendessen mit ihnen ab und kam tatsächlich mit – die enttäuschten Blicke verfolgen mich bis heute. Ich hoffe, sie haben mir verziehen.
Ganz zu Beginn las ich auch in einer Polizeischule. Ich kam bereits am Abend davor an und stellte fest, dass die Schule fast wie ein Internat war, mein Zimmer erinnerte mich jedenfalls frappierend an meine Zeit im Heim. Eine Polizeischülerin hatte an diesem Abend Geburtstag, es wurde auf dem ganzen Stock gefeiert. Die anderen nahmen mich als Gast fantastisch auf, es war eine ausgelassene Stimmung, und da wir alle im gleichen jungen Alter waren, eskalierte es etwas. In anderen Worten: Um circa drei Uhr früh fand ich mich kotzend über der Kloschüssel wieder. Das wäre noch kein Problem gewesen, wenn ich nicht am nächsten Tag um acht Uhr früh hätte lesen müssen. Mit dem Kater meines Lebens stand ich pünktlich am Morgen vor einer Gruppe Polizist:innen. Die älteren ausgeruht und gespannt bis skeptisch, die jüngeren ebenso bleich wie ich.
Die Lesung ging halbwegs glatt über die Bühne, doch danach bekam ich von einem erfahrenen Polizisten (der nicht auf der Party gewesen und somit unwissend war) das überraschende Angebot, ein Schießtraining zu absolvieren. Ich war noch immer weit davon entfernt, nüchtern zu sein, aber auch neugierig – und schoss schließlich mit spürbar Restalkohol ein Magazin leer. Getroffen habe ich nicht, aber an das beunruhigende Gefühl, eine echte Waffe in der Hand zu halten, erinnere ich mich bis heute. Ich habe nie wieder geschossen.
Bei meinen ersten Lesungen war die Fragerunde immer am Schluss – was ich irgendwann änderte, weil ich es schöner finde, mit der Geschichte aufzuhören statt mit dem Autor (und nein, diese peinliche Szene von einer Lesung 2008 spielte dabei keine Rolle). Anfangs hatte ich in der Regel kein Mikrofon, was bei fünfzehn bis zwanzig Menschen im Publikum auch kein Problem war. Bei der größten Lesung meines Lebens wäre das jedoch nicht gegangen, als ich 2022 mit Thees Uhlmann in der Elbphilharmonie las. Nie kamen mehr Leute als damals, wir fühlten uns in der ausverkauften runden Elphi wie in einem Raumschiff.
Die Lesereisen führten schon an viele spezielle Orte wie Jugendheime, Kirchen, einen Pferdestall wie bei Kultur Rockt oder eine Scheune auf Rügen (bei der wunderbaren Inselbuchhandlung) – aber selten so kontinuierlich an ausgefallene Plätze wie beim Festival Hörgang in München. Dort las ich u.a. in alten Bunkern, in einem Kostümverleih, an Jimmy’s Balkangrill, im Waisenhaus oder auch im finsteren Wald, mit Stirnlampe und auf einem umgekippten Einkaufswagen sitzend.
Eigentümlich waren die Lesungen an der Uni in meinen Zwanzigern; als jemand, der nicht studiert und davor noch nie einen Vorlesungssaal von innen gesehen hatte, fühlte ich mich am Pult stehend wie ein Hochstapler. Auch viele Schullesungen sind mir unvergessen, gerade durch die oft unverblümten, großartigen und klugen Fragen der Klassen (wobei es natürlich auch welche der Kategorie „Ey, lies mal die Sexszenen aus Fast genial, haha“ gab. Ich las diese Stellen dann tatsächlich, was aber immer peinlicher für die Person ist, die es sich gewünscht hat, als für die, die sie vorliest – denn die hat ja wenigstens etwas dabei zu tun). Ein Klassiker auf den ersten Touren war zudem, dass ich mehrere Male auf dem Weg zur Bühne oder Turnhalle von Lehrkräften selbst für einen Schüler gehalten wurde.
Besonders schön waren die Heimspiele in meiner eigenen Schule – und über die Jahre auch im Ingolstädter Reuchlin-Gymnasium, bei dem ich mit fast jedem Buch war. Aber auch die Reihe Querfeldein in Tübingen und Heidelberg leuchtet heraus, die von Studierenden veranstaltet wurde. Diese hatten stets unfassbar gute Ideen, Fragen und Spiele in petto. Zugleich hatten sie aber auch das Netz nach allen Peinlichkeiten abgesucht, die ich je irgendwann von mir gegeben hatte – und waren leider mehrmals fündig wurden.
Apropos peinlich: Bei meinen ersten Lesungen mit Mitte zwanzig versuchte ich noch irgendein Klischee zu bedienen. Ich saß nicht hinter dem Tisch, sondern stand „lässig“ davor, trank Wein und machte einen auf Rockstar (im Idealfall eine Mischung aus den Gallagher-Brüdern von Oasis und Bob Dylan, ohne, dass ich das je zugegeben hätte). Wirklich betrunken war ich damals nie, aber ich glaube, ein- oder zweimal lallte ich tatsächlich ein bisschen und stieß bei 1Live auch mal ein Glas um, bis ich diesen spätpubertären Quatsch wieder sein ließ.
Seit Hard Land bat mich auf Tour gleich mehrere Male jemand, das Wort Euphancholie auf ein Papier zu schreiben, um es sich später tätowieren zu lassen, einmal auch ein Paar. Das berührte mich sehr. Andere wünschten sich bei der Widmung eine Zeichnung von etwas Bestimmten, das ich gar nicht malen kann (ich kann nur Katzen malen). Es gab aber umgekehrt auch kleine Geschenke wie Freundschaftsbänder, liebevolle Briefe, T-Shirts und zuletzt die Packung Schokokoalabären, in Anlehnung an Rauli Kantas aus Becks letzter Sommer. Apropos Briefe: ich bin leider der chaotischste und unzuverlässigste Beantworter, aber ob bei Lesungen oder an den Verlag: ich lese alles, teils mehrfach, und möchte mich von Herzen dafür bedanken.
Was ich bei den frühen Touren jedenfalls schön fand, war die Kneipenatmoshäre in den Buchhandlungen nach dem Auftritt. Man saß mit vielen aus dem Publikum noch zusammen, schrieb auf Wunsch Widmungen und redete über dieses und jenes. Endlich traf man die Menschen, die den Roman gelesen hatten, und die Buchhändlerinnen und Buchhändler, die ihn empfahlen. Es gab spannende Diskussionen, schönes Feedback, konstruktive Kritik und viele lustige Abende in unterschiedlich großen Runden. Ich habe dieses Persönliche immer geliebt, diesen Austausch.
Als die Touren spätestens ab 2016 mit Vom Ende der Einsamkeit immer größer wurden, habe ich versucht, diesen Austausch genauso wie bisher beizubehalten und weiterhin nach den Lesungen mit allen zu reden, die noch Fragen hatten oder eine persönliche Widmung wollten. Mir war es dabei wichtig, bei den Menschen am Anfang genauso zuzuhören und die gleiche Zugewandtheit zu haben wie teils mehrere Stunden später bei den letzten in der Reihe. Was dazu führte, dass die Veranstaltungen je nach Größe zunehmend länger wurden. Immer wieder mussten die Locations irgendwann nach Mitternacht schließen, dann ging es draußen in der Kälte weiter, bis um zwei oder halb drei Uhr früh. Mal nur eine Widmung, mal ein lustiger kurzer Schwat dazu; mal ein ernstes Gespräch über Verlust oder Einsamkeit.
Den zwischenzeitlichen Rekord gab es schließlich 2018 in der Muffathallte. Die ohnehin schon über zweistündige Lesung war um halb zehn Uhr abends vorbei, das Widmungenschreiben hinterher ging noch bis um halb vier Uhr früh (wobei es danach sogar noch mal weiterging, erst um vier waren wir wirklich fertig). Irgendwo las ich mal, dass der Weltrekord sechs Stunden wäre – was wir damit alle zusammen einstellten.
Am Ende herrschte unter den letzten tapferen Verbliebenen eine verrückte Stimmung wie in einem Nachtzugabteil im Morgengrauen. Es erstaunt und bewegt mich immer wieder aufs Neue, dass überhaupt so viele Menschen zu den Veranstaltungen kommen möchten und manche hinterher noch derart geduldig warteten. Diese Begegnungen und Gespräche danach gehören zum Schönsten für mich aus all den Touren.
Leider riss ich mir 2023 die äußere Sehne unter meinem kleinen Finger, was man nicht operieren kann. Ich kann seitdem nur noch mit größeren Schmerzen länger als eine halbe Stunde mit der Hand schreiben, und auch dann nur mit Eis und mehreren Ibuprofens – und mit der Angst, dass die verbliebene innere Sehne bei zu viel Stress auch noch reißt (danach könnte ich den kleinen Finger mein Leben lang mehr bewegen).
Bei der Tour zu Die Geschichten in uns biss ich mir beim Signieren an den Abenden auf die Zähne, hatte aber auch danach noch wochenlang Schmerzen in meiner Hand. Ich muss mir deshalb gut überlegen, wie ich es in Zukunft mache, falls es irgendwann mal wieder eine Lesetour zu einem neuen Buch geben sollte. Doch ich bin mir sicher, es wird sich eine Lösung finden.
Wenn ich auf die bisherigen Touren zurückblicke, dann bin ich jedenfalls zutiefst dankbar, der Kopf und das Herz randvoll mit unzähligen Erinnerungen, Gesprächen, Bildern. Ich kann nur noch mal DANKE sagen, für diese liebevollen Begegnungen und Momente und den Zuspruch in all diesen Jahren. Das bedeutet mir die Welt, auch deshalb wollte ich das alles hier mal zusammentragen …
Years of wonder!