Daniel Kehlmann hielt kürzlich eine sehr lesenswerte Rede zum Thema Künstliche Intelligenz, ob in der Kunst oder im alltäglichen Leben. Er skizziert darin brillante Serien, die von Algorithmen binnen Minuten geschrieben werden, aber auch Programme, die mit uns reden und mit denen wir unsere Gedanken und Alltagssorgen besprechen können. Die allerdings auch finanziert werden müssen und uns deshalb neben Tipps für den Umgang mit der Tante auch erlesene Whiskeymarken empfehlen – oder je nachdem bestimmte politische Meinungen.
Diese Rede hat mich sehr beschäftigt, denn tatsächlich sieht es so aus, als stünden uns schon in naher Zukunft drastische Veränderungen bevor; vermutlich bereits in diesen Neo-Zwanzigerjahren. Und doch habe ich gleich zwei naive Hoffnungen, wieso zumindest die von Menschen geschriebene Literatur überleben wird.
Vielleicht spreche ich hier nur für mich, aber ich glaube, was wir in Literatur suchen und auch finden, ist eine Wahrheit über uns selbst. Ein literarischer Text bietet stets auch Identifikation. Wir wollen wissen, wer wir sind, fühlen uns beim Lesen eines Buchs verstanden und gesehen oder manchmal auch abgestoßen. Aber für all das brauchen wir eine Art Beglaubigung: Das sichere Wissen, dass am anderen Ende ebenfalls ein Mensch saß, mit all seinen Stärken und Fehlern, und das Ganze in die Seiten tippte. Jemand, der wie wir gelitten, geträumt, geliebt und gelebt hat. Wir suchen die Schöpfung aus dem Inneren – und nicht einen Algorithmus, der uns von außen makellos simuliert. Ich selbst kann mir jedenfalls nicht vorstellen, beim Schreiben KI zu nutzen. Und ich will auch keinen künstlichen Song hören, der wie ein Bob Dylan-Song klingt oder besser, ich will wissen, dass er selbst ihn geschrieben und gesungen hat. Ein Text kann noch so perfekt sein, das interessiert mich alles nicht, was mich interessiert, sind immer die Menschen.
Und genauso glaube ich, dass Literatur auch in Zukunft etwas haben wird, was sie von allen anderen Kunstformen unterscheidet: Sie ist noch nicht fertig produziert zum Konsumieren, sondern entsteht erst in uns. Ein Text ist nur ein schwarzweißer Architekturplan, die Gebäude errichten die Menschen, die ihn lesen. Die Farben und Emotionen kommen von ihnen selbst, sie füllen die Lücken zwischen den Zeilen mit eigenen Erlebnissen und Emotionen. Eine Geschichte fühlt sich immer anders an und sieht auch anders aus, je nachdem, wer sie liest, denn die Leinwand ist die jeweilige Fantasie.
Als Gegenleistung verlangt ein Roman Entschleunigung, Geduld und Konzentration. Am Ende ist es eine Zusammenarbeit zwischen der Person, die den Text geschrieben hat, und der Person, die ihn liest. Erneut kann ich nur für mich und für das Jetzt sprechen, aber ich möchte als Leser lieber mit einem Menschen zusammenarbeiten. Und ich denke ganz generell: Der Wunsch nach solchen Verbindungen ist es auch, der uns ins Theater gehen lässt, auf Konzerte, Lesungen und Vernissagen (oder der uns ins Fußballstadion lockt und zum Hören von Podcasts und Radiosendungen bringt).
Vielleicht sehe ich das irgendwann anders, falls die KI wirklich eigenständig denkt und fühlt und selbst schöpferisch tätig ist; also ein außergewöhnlich hohes Level erreicht wie bei Filmen wie Blade Runner, wo es wiederum humanistisch wäre, diese Gefühle ernstzunehmen und zu achten. Aber das ist die Zukunft. Und generell hänge ich sehr an den künstlerischen Werken, die wir selbst erschaffen. Ebenso am persönlichen Umgang. Deshalb gibt es auch das eBook zu Die Geschichten in uns wieder nur verzögert, da man ein solches fast nur online und dort meist bei Konzernen wie Amazon kauft. Ich möchte lieber die Buchhandlungen unterstützen und die Menschen, die dort arbeiten.
Kunst gehört für mich zu den schönsten und tröstlichsten Dingen, wie wir als Spezies hervorbringen können. Selbst in den finstersten Zeiten von Krieg, Hunger und Elend gab es Menschen, die geschrieben, gemalt, gedichtet oder musiziert haben. Die ihre Zeit festhielten, ihr Leid und ihren Schmerz, aber auch ihre Hoffnung und Liebe. Deshalb konnten manche Romane, Lieder oder Filme wirklich etwas verändern: Sie konnten uns und unsere Sicht auf die Welt prägen und Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen und Ländern miteinander verbinden, manchmal durch alle Jahrhunderte hindurch.
Diese Gabe uns selbst wegzunehmen und Algorithmen zu überlassen, halte ich für gefährlich. Als Menschheit stürzen wir uns da in Entwicklungen, deren Auswirkungen wir nicht im Entferntesten abschätzen können. Wir müssen wirklich aupfassen, dass geliebte Orte, künstlerische Jobs und generell viele menschliche Begegnungsmöglichkeiten nicht einfach so verlorengehen und wir irgendwann dasitzen und uns fragen, wie das nur passieren konnte.
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Berühmt der Monolog eines Sterbenden aus „Blade Runner“. Wie viele andere künstlerische Zeugnisse – von Höhlenmalereien über antike Schriften und Musik zu Fotografie und Film – sind auch diese unvergesslichen letzten Worte im Kern ein „Wir waren hier“ oder „Ich war hier“. Nur spricht in diesem Fall kein Mensch, sondern ein Replikant … Die Frage nach der Zukunft einer von Menschen perfektionierten Künstlichen Intelligenz führt deshalb auch an ferne philosophische Küsten wie einst die Frage nach dem Schiff des Theseus.